L'incoronazione di Poppea
Wintersemester 2011 / 2012
Die Faszination des Erotischen. Gedanken zur Inszenierung
Sabine Sonntag im Gespräch mit dem Regisseur der Oper Matthias Remus
Diese Oper gilt ja als die erste, die einen historischen Stoff aufgreift und die Willkür eines Herrschers als Politikum darstellt. Das war 1642 etwas völlig Neues, war brennend aktuell im Umfeld der ansonsten rein mythologisch verorteten Werke. Hat sich diese Aktualität bis heute erhalten?
Schon 120 Jahre vor der Uraufführung hat mit wildem Entschluss und radikaler Durchsetzungskraft Heinrich VIII. seine Anne Boleyn zur Gattin und Königin gemacht, und bis heute wimmelt es in den höheren Etagen der Gesellschaft – also nicht nur in den Königshäusern! – von sexuell motivierten Geschichten und Geschichtchen. Doch darin sehe ich nicht unbedingt die Aktualität dieser Oper, sondern in der Aufdeckung der Abhängigkeiten von uns, (Männern und Frauen, durch alle Zeiten hindurch,) von unseren Emotionen, Begierden, Trieben, von der Sucht nach Liebe, dem Geliebtwerden , nach gesellschaftlicher Anerkennung und nach Macht – mit durchaus politischen Folgen! Amor vincit omnia! Die meisten Opern leben ja von dieser Behauptung und wie so oft endet auch diese Oper mit einer Heirat, doch ist diese Eheschließung mit gesellschaftlich gegründeter Moral kaum vereinbar, die Tugend (virtù) bleibt auf der Strecke. Ein happy ending? Eine heile Opernwelt? Die Dissonanzen im Schlußduett weisen nicht darauf hin. Monteverdis radikaler und böser Blick auf die gesellschaftlichen und erotischen Dinge empfinde ich als überraschend modern.
Diese Oper zeichnet sich durch meist kurze Szenen aus, dazu kommen häufige Schauplatzwechsel, aber auch ganz konkrete Vorgaben für das Bühnenbild. Man kann natürlich nicht alle fünf Minuten umbauen, welche szenische Lösung wurde entwickelt?
Die Dramaturgie dieser Oper verlangt, dass sich eine Szene aus der anderen ergibt, dass z.B. ein Protagonist direkt auf die Geschehnisse der vorangegangenen Szene reagiert, diese also vorher beobachtet haben muss. Der Bühnenraum erfordert also eine gewisse Durchlässigkeit und szenische Beweglichkeit. Ich bin ein Freund der offenen Shakespeare-Bühne und des von dem großen Regisseur Peter Brook geforderten „leeren Raums“, der durch das vielgestaltige Beziehungsfeld der Darsteller erfüllt werden sollte. Aber auch so ein „leerer Raum“ braucht Gestaltung und symbolische Aussagekraft. Im Libretto ist von dem „geliebten Haus“ Poppeas oder von den zu küssenden Mauern Roms die Rede, außerdem wird von Amor und Nero immer davon gesprochen, dass man „heute“, also innerhalb eines Tages, zum Ziele kommen wird. Die Bühnenbildner hatten die schöne Idee, dass eine Wand wie ein Uhrzeiger sich während der Aufführung im Kreise bewegt, die Zeit im Raume sichtbar wird und so immer neue Raumgestaltungen ermöglicht. Die Kostüme wollen dagegen keinen direkten Zeitbezug herstellen, sondern den jeweiligen Charakter der Figuren assoziativ unterstreichen.
Poppea ist ja nicht nur ein hochpolitische Stück über die Durchsetzung von Machtansprüchen, sondern diese Oper ist vor allem auch ein Lehrstück der Erotik in all ihren Spielarten. Tabubrüche ohne Ende. Wie das in unserer Zeit, in der es doch anscheinend überhaupt kein Tabu mehr gibt?
Man muss ja heute mindestens einen Nacktauftritt inszenieren, um als Regisseur beachtet zu werden. Gegen Nacktauftritte ist auch nichts zu sagen, wenn die Darsteller sie mit Überzeugung und mit dem Ausdruck schauspielerischer Notwendigkeit gestalten können. Das ist jedoch meistens nicht der Fall. Zudem ist festzustellen, dass sich auf der Bühne Eros und direkte Sexualität nicht unbedingt durch Entblößung oder Nacktheit überzeugend darstellen lassen, wohl auch deshalb, weil man so den Vorgang erotischen Erlebens des Geheimnisses und der Phantasie beraubt. Es gibt viele andere theatralische Mittel, um das Erotische miterlebbar zu machen, z. B. durch die Spiegelung im voyeuristischen Betrachter. So wird z. B. bei uns der Ottone in seiner brennenden Eifersucht das Liebesspiel von Nero und Poppea beobachten mit Schmerz und gleichzeitig mit verzehrender Lust. – Aber eigentlich muss man bei dieser Oper der Musik, der Komposition des alten Priesters Monteverdi nur folgen, das komponierte Seufzen, Stöhnen und Jubeln nur theatralisch zum Ausdruck bringen, um sich auf der Bühne der Faszination des Erotischen bewusst zu werden!
Daten und Fakten
L'incoronazione di Poppea
Claudio Monteverdi
Musikalische Leitung Prof. Bernward Lohr
Regie Prof. Matthias Remus
Bühne Katharina Laage, David Rink
Kostüm Asli Bakkallar, Kirsten Sandvoss
Übertitel Laura Andres, Friederike Weritz
Beleuchtungskorrepetition Maximilian Klakow, Julius Jonzon
Technik Bernd Stumpe, Robin zum Hingst, Sebastian Seuring
Requisite Christiana Rudolph
Bühnenhelfer Christoph Baathe, Philipp Heiß, Till Winkler
Besetzung:
Amore Sophia Körber, Nadezda Senatskaya
Fortuna Jung-Youn Kim, Stefanie Zillig
Virtù Cindi Lutz, Won Young Lim
Pallade Nele Schulz, Sarah Lewark
Mercurio Christoph Biermann, Daniel Bacsinszky
Poppea Maximiliane Schünemann, Julia Bachmann
Nerone Judith Utz, Meike Albers
Drusilla Patricia Grasse, Anna Bürk
Ottavia Stephanie Rüther, Anna Bineta Diouf
Ottone Camilla Lehmeier, Alice Hoffmann
Seneca Philip Björkqvist, Jani Kyllönen
Arnalta Steffen Henning, Florian Neubauer
Nutrice Katarina Andersson, Marie-Sande Papenmeyer
Valetto Xiaodan Zaum, Mira Gracyk
Damigella Johanna Baumann, Yvonne Prentki
Lucano Stephanie Lönne
1. Soldat Sebastian Franz
2. Soldat Uwe Gottswinter
Liberto Nicholas Manzella
Littore Yannick Spanier, Matthias Tönges
Schüler Johannes Euler, Sebastian Franz, Uwe Gottswinter, Yannick Spanier, Mathias Tönges
Premiere am 11. Februar 2012 Im Richard Jakoby Saal der HMTMH
Weitere Vorstellungen am 13., 14. und 15.2.2012
Zuletzt bearbeitet: 24.04.2016
Zum Seitenanfang