Street Scene

Wintersemester 2012/2013

Über die Inszenierung der Oper Street Scene von Kurt Weill Notizen nach dem Besuch einer Probe auf der Probebühne
Von Cosima Bodien

„Es bedeutet für mich die Erfüllung zweier Träume, die ich während der letzten 20 Jahre geträumt habe und die zu einer Art Zentrum geworden waren, um das all mein Denken und Planen kreiste“ – so beschreibt Kurt Weill 1949 die Oper Street Scene. Die Träume, von denen er spricht, waren erstens „eine wirkliche Verbindung von Drama und Musik, in der das Singen auf natürliche Weise dort einsetzt, wo das Sprechen aufhört; und das gesprochene Wort ebenso wie die dramatische Handlung eingebettet ist in eine über- greifend musikalische Struktur“, und zweitens „der Traum einer Amerikanischen Oper“.

Ein Ortswechsel, ein Zeitsprung: Wir befinden uns in Hannover 2013. In einer Welt, in der vor lauter Globalisierung die Unterschiede zwischen Amerika und Europa beinahe verwischen. Wie kann man also unter Weills Prämissen seine „Amerikanische Oper“ heutzutage als solche überzeugend auf die Bühne bringen?
„Unsere Idee war, Assoziationen zu New York herzustellen“, erklärt Prof. Matthias Remus. „Deren Umsetzung hängt unter anderem von den gegebenen Möglichkeiten der Bühne im Richard Jakoby Saal ab sowie natürlich vom Budget.“ So habe man die anfängliche Idee, auf die Bühne einen „Kasten“ aus Gerüstteilen zu stellen, in dem und um den herum sich die Handlung abspielen sollte, wieder verworfen, da der Bewegungsraum der Sänger zu stark eingeschränkt gewesen wäre. Man einigte sich darauf, durch Gerüstbauten an den Bühnenseiten die Wohnbauten assoziierbar zu machen, die an die typischen, an den Außenwänden angebrachten Feuertreppen in den Straßen New Yorks erinnern sollten, wie sie etwa auch in der bekannten Verfilmung von Leonard Bernsteins West Side Story zu sehen sind. Auf diese Weise entsteht eine Art Hof, in dessen Beengtheit und Eingeschlossenheit die Geschichten, Probleme und Sehnsüchte der unterschiedlichen Bewohnerinnen und Bewohner erzählt werden.

Kurt Weill hat bekanntlich intensiv mit Bertolt Brecht zusammengearbeitet, der die Musik, den „Song“, in seinen Theaterstücken als eine Form der Distanzierung einsetzte, als eine Art des künstlerisch geformten Kommentars des Autors oder des Darstellers zur dargestellten Situation. Auch in Street Scene gibt es immer wieder Nummern, die dramaturgisch eigentlich nichts mit der Geschichte zu tun haben, wie z.B. das Ice-Cream-Sextett, in dem das amerikanische Eis und das vielfältige Angebot der „Drugstores“ gepriesen werden. Sie zeigen gewissermaßen die Meinung der Autoren über das schier unendliche Warenangebot Amerikas. Matthias Remus inszeniert diese Nummer als eine Art Revue, in der nicht nur die sechs Solisten, sondern der ganze Chor in einen tänzerischen Konsumrausch verfällt und das „Lob der Konsumwelt“ als Kritik an der Konsumabhängigkeit umgedeutet wird. Auch in anderen Nummern dieser Oper wird diese Revue-Dramaturgie als ein typisches amerikanisches Darstellungsmittel eingesetzt werden.
Für die Akteure, Gesangsstudierende vom ersten bis zum zwölften Semester und den Kinderchor, ist das gleichzeitige Singen und Tanzen durchaus eine Herausforderung, obwohl die Betreuung der Sängerinnen und Sänger intensiv und das Angebot an Lehrveranstaltungen wie Tanz, Bewegung und szenisch-musikalische Ensemblearbeit groß ist.

Bei der Probenarbeit ist es daher unerlässlich, dass auch die Choreografin anwesend ist. Für die meisten Studierenden ebenfalls ungewohnt ist der von Kurt Weill geforderte gesprochene Dialog über den Orchesterklang hinweg, wie man es aus den alten amerikanischen Musikfilmen kennt.
Der englische Originaltext sieht Dialekteinfärbungen vor, also deutsches, jiddisches, italienisches oder schwedisch verzerrtes Amerikanisch, die sich in diesem sprachlichen Schmelztiegel New York zusammenmischen. Die deutsche Übersetzung bietet Entsprechendes an. Prof. Matthias Remus: „Bei der Besetzung der Rollen u. a. mit schwedischen, koreanischen, französischen Gesangsstudierenden haben diese unterschiedlichen Sprachfärbungen sogar einen besonderen Reiz. Ich habe großen Respekt davor, mit welcher Intensität sich die ausländischen Studierenden mit der deutschen Aussprache auseinandersetzen.“

Die Inszenierung einer Oper sei immer ein Prozess. „Es kommt vor, dass wir irgendeine bestimmte Sache an einem Tag ganz hervorragend finden, und am nächsten Tag gefällt sie uns gar nicht mehr – dann müssen wir wieder etwas Neues erarbeiten. Ganz am Anfang aber steht immer die eigene Auseinandersetzung der Sänger mit ihren jeweiligen Rollen. Jeder Sänger musste zum Beispiel zunächst einen Fragenkatalog zu seiner eigenen Rolle bearbeiten. Warum zum Beispiel ist Frau Jones immer so mürrisch und destruktiv? Wie war sie wohl als junges Mädchen? Vieles steht bereits im Textbuch oder erschließt sich aus der genauen Analyse der Partitur, vieles aber muss auch erst mit Menschen- kenntnis und interpretatorischer Fantasie erfunden und dann schauspielerisch und sängerisch zum Ausdruck gebracht werden.“

 

Daten und Fakten

Street Scene
Kurt Weill

Musikalische Leitung Prof. Martin Brauß
Regie Prof. Matthias Remus
Musikalische Assistenz Deniola Kuraja
Bühne Anna-Katharina Marek, Timo Schröder
Kostüm Jana Fritze, Clara Hedwig, Sabine Schröder
Choreografie Heike Becker-Blumenreuther
Maske Caroline Brandt, Marisa Lattmann, Veronika Kaleja, Britta Reimann
Beleuchtung Wilfried Heitmüller
Beleuchtungsinspizienz Xiaodan Zaum, Nadja Senatskaja
Technik Bernd Stumpe (Bühnenmeister), Wilfried Heitmüller, Christiana Rudolph, Robin zum Hingst, Sebastian Seuring
Requisite Christiana Rudolph

Besetzung:
Abraham Kaplan Uwe Gottswinter
Shirley Kaplan Cindi Lutz
Samuel Kaplan Manuel Oswald, Bonjin Goo
Greta Fiorentino Yvonne Prentki
Filippo Fiorentino Yohan Kim
Carl Olson Philip Björkqvist, jani Kyllönen
Olga Olson Katarina Andersson, Marie-Sande Papenmeyer
George Jones Julian Hauptmann
Emma Jones Stefanie Zillig, Judith Utz
Vincent Jones Nils Byrén
Mae Jones Nina Walz a.G.
Henry Davis Sampo Haapaniemi, Jean-Christophe Fillol
Anna Maurrant Lena zum Berge, Sarah Lewark
Rose Maurrant Laure Barras, Anna Bürk
Frank Maurrant Hyung Woo Lee, Jaegyeong Jo
Willie Maurrant Iryna Dziashko
Daniel Buchanan Sebastian Franz
Steve Sankey Yannick Spanier
Laura Hildebrand Hyungyoung Kim
Jenny Hildebrand Rebecca Wiemers, Tina Cowling
Charly Hildebrand Sebastian Genderka, Victoria Rein
Mary Hildebrand Marie-Sophie Restetzki, Leonie Fehst, Edda Brauß
Dick Loris Zambon
Harry Easter Steffen Henning
Bettlerin Eunhye Choi
Bettlerin Sarah Isabel Kelemen
Kindermädchen Helena Brzozka
Kindermädchen Juliane Dennert
Abiturientinnen Laura Andres, Minjung Lee
Murphy Matthias Tönges
James Henry Julius Jonzon
Dr. John Wilson/Passant Martin Rainer Leipoldt
Altkleidersammler Jean-Christophe Fillol, Sampo Haapaniemi
Eisverkäufer/Polizist Luciano Lodi
Passantin Ylva Stenberg
Passantin/Krankenschwester Anna-Doris Capitelli
Geigenschülerin Aurelia Lampasiak
Passantin/Journalistin Karolina Eurich
Passantin/Fotografin Melissa Wedekind
Erbeerverkäuferin Mareike Weiffenbach
Myrtie Flora Wiesner, Friederike Hinrichs, Henrike Waterman
Joe Konstantin Brauß, Pascal Abresch
Joan Katharina Kudravzev, Viktoria Rein
Ein Hund Lucky

Kinder- und Jugendchor der HMTMH
Dennis Abresch, Pascal Abresch, Edda Brauß, Konstantin Brauß, Leonie Fehst, Sebastian Genderka,
Lilit Hakobyan, Friederike Hinrichs, Maria Itin, Katharina Kudravzev, Amelie Müller, Josephine Müller, Lea Ramatschi, Victoria Rein, Marie-Sophie Restetzki, Henrike Watermann, Flora Wiesner
Leitung: Janette Schmid

Premiere am 9. Februar 2013 im Richard Jakoby Saal der HMTMH

Weitere Vorstellungen am 11., 12., und 13.02.2013

Zuletzt bearbeitet: 13.04.2016

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